Surreale Welten – Magnetische Felder
«Die Poesie muss von allen gemacht werden. Nicht von einem.»
Comte de Lautréamont
Vor 100 Jahren haben die Surrealist*innen gegen das Diktat der Vernunft die Kraft des Traums entfesselt. In unserer durchrationalisierten Welt stellt sich die Frage: Gibt es noch Räume zum Träumen? Können wir noch träumen? Und wovon?
Das Manifest des Surrealismus von 1924 ist so aktuell wie nie zuvor. Von der Logik der Ökonomie wollten die Surrealist*innen nichts wissen, stattdessen kam es ihnen auf das Unbewusste an. Das erforschten sie nicht nur in der Malerei, sondern auch in der Literatur mit ihrer „écriture automatique“, mit der sie in Anlehnung an Sigmund Freud im Fluss der Assoziationen die Grammatik zum Tanzen brachten. Was wäre heute besser geeignet, um sich den Algorithmen der KI und von ChatGPT zu entziehen?
Mit der Anthologie des schwarzen Humors hat André Breton einen Gegen-Kanon der radikalen Moderne entworfen und den surrealistischen Geist bis zu E.A. Poe oder zum Marquis de Sade zurückverfolgt. Wir werden diesen Kanon mit unseren Gästen in umgekehrter Richtung erweitern und mitten in unserer Gegenwart landen: Milo Rau, Merlin Sheldrake, Claudia Durastanti, Ann Cotten, Tom McCarthy, Bice Curiger, Raoul Schrott, Marion Poschmann, Jojo Mayer, Kety Fusco, Frédéric Pajak, Ramata-Toulaye Sy u.v.a. wollen an diesem Abenteuer auf dem Monte Verità teilnehmen. Weitere internationale und Schweizer Gäste werden dazukommen.
Denn wir wollen nicht im Bann der „monumentalischen Geschichtsschreibung“ erstarren, sondern die Kraft der Vergangenheit auf die Aktualität anwenden. Also auf eine Welt, in der surreale Politik-Propaganda, irreale Börsendaten und hyperreale Technologie den Weg ins eigentliche Leben versperren. Dorthin gelangt man über den Traum, den Rausch, die Psychogeografie und die Sinnlichkeit des Unsinns.
Von Dada bis Lady Gaga, von Rimbaud bis Jim Morrison, von den Situationist*innen bis Punk, von Oulipo bis Robopoetik kreisen die grossen Bewegungen und Figuren der Avantgarde um das Reich des Surrealismus. Unter diesen magnetischen Feldern nimmt der Monte Verità als eine Art Magnetnadel eine Schlüsselrolle ein.
Dabei werden wir auch das nahe Umfeld erkunden: vom Elisarion auf dem Monte Verità bis zu Meret Oppenheims Haus in Carona.
Stefan Zweifel
Künstlerischer Leiter